„Der Luxus vom Abschied nehmen“

Hiermit veröffentlichen wir nun einen ersten Gastbeitrag in unserem Blog und freuen uns von Herzen, dass Petra Bladt uns in einem sehr persönlichen und offenen Beitrag an ihrer (Trauer-) Erfahrung teilhaben lässt.

Ich heiße Petra, bin 55 Jahre alt und seit 1998 mit Ralf zusammen, seit September 2010 mit Ralf verheiratet und seit dem 03.02.22 seine Witwe. „Witwe“ – das Wort klingt nach Verbitterung, es klingt: schwer traurig, schwarz und böse. Aber nichts davon trifft auf mich zu.

Ralf hat nach unserem letzten gemeinsamen Urlaub im September 2020 (also vor genau 2 Jahren) die ersten offensichtlichen Auswirkungen seiner Krankheit bemerkt. Im März 21 hat er aufgehört zu arbeiten weil er es unverantwortlich fand mit diesen Einschränkungen weiter LKW zu fahren. Die Ärzte, also 3 Orthopäden, diverse Ärzte und Neurologen in zwei Krankenhäusern/Uniklinken konnten uns bis dahin nicht sagen was er hat. Er hat keine Untersuchung ausgelassen, egal wie unangenehm oder schmerzhaft. Selbst eine Muskelbiopsie und eine genetische Untersuchung brachten kein Ergebnis. Erst ein Arzt der DKD Klinik in Wiesbaden gab Anfang August 21 der Erkrankung einen Namen: V.a. primäre ALS oder Corticobasale Degeneration.
Ich habe beides gegoogelt und beide Erkrankungen waren so furchtbar das ich mich an den beiden Buchstaben davor festhielt: V.a. – Verdacht auf … Ich wollte es nicht wahr haben. Ralf war es da aber schon klar – sein Leben ist endlich.
Im November 21 bei der ersten Nachuntersuchung war seine Krankheit weiter fortgeschritten und ich musste mich auch der Tatsache stellen das es keine Chance auf Heilung gibt.

Ich habe soweit ausgeholt weil meine Trauer schon hier begann.

Ralf ging so pragmatisch mit der Situation um. Er kaufte sich einen E-Scooter, einen elektronischen Rollstuhl und einen Rollator weil ihm die Krankenkasse nicht schnell genug mit ihren Bewilligungen war. Er verkaufte sein heißgeliebtes Auto und suchte nach einem Weg aus dem Leben zu scheiden.
Ich half ihm bei allem (und das war mittlerweile schon duschen, anziehen, essen) so gut ich konnte, ich war stark für ihn.
Sein Umgang mit seinem nicht mehr lebenswerten Leben und seinem zwangsläufig bevorstehenden Tod hat mich stark für ihn gemacht.
Ich habe versucht nur zu heulen wenn er nicht in der Nähe war, immer im Auto auf dem Weg zur Arbeit bzw. nach Hause, im Wald beim Gassi gehen, abends vor dem Fernseher wenn er schon im Bett lag.

Als er endlich über die DGHS (deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben) einen Termin für seinen begleiteten Freitod bekam war er so erleichtert das ich keine Zweifel hatte das es der einzige richtige Weg ist. Und ab jetzt tickte die Uhr. Genau 2 Wochen vorher wussten wir Tag und Uhrzeit.
Wir führten zusammen ein Gespräch mit der Bestatterin und er suchte sich seine Urne aus. Ich suchte nach Rücksprache mit ihm einen Baum im Ruhehain aus und wir sprachen über die Traueranzeige. Alles ganz normal, als plane man einen Geburtstag oder eine Reise.
Ich hätte gerne noch soviel für ihn getan – sein Lieblingsessen gekocht, irgendwo hin gefahren, jemand eingeladen – aber er hatte hier auf dieser Welt schon abgeschlossen.
UND FÜR IHN WAR DAS OKAY.
Also musste es auch für mich so sein. Er starb zu Hause in seinem gewohnten Umfeld. Ich konnte mich von ihm verabschieden. Ich hielt ihn im Arm und hielt seine Hand als er starb. Seine Tochter und ihr Freund waren dabei und unsere Hündin Abby (Ralfs große Liebe und treue Begleitung). Es war Luxus, sich von ihm verabschieden zu können.
ER WAR ERLÖST.

Dadurch, dass wir im Vorfeld schon soviel klären konnten musste ich in meiner Trauer nicht mehr viel entscheiden. Die Frage der Bestatterin ob ich ins Krematorium mit fahre, traf mich dann doch unvorbereitet und ich musste erst einmal eine Nacht darüber schlafen. Da ich aber den ganzen Weg mit ihm gegangen war, wollte ich auch die allerletzten Meter bei ihm sein. Ich bin froh das ich es getan habe, denn ich hatte ein ganz falsches Bild vom Krematorium (Ignarium Hochwald).
Die Urnenbeisetzung war auch sehr schön. Nicht in schwarz, nicht religiös, 4 deutschsprachige traurige Lieder, die ich mit Ralfs Tochter ausgesucht habe und mit seinem geliebten Marzipaneierlikör am Grab….. Ich würde alles wieder so machen.

Ich bin im Vorfeld ganz offen mit seiner Erkrankung und seinem Wunsch nach einem begleiteten Freitod umgegangen. Ich habe keine Nervenzusammenbrüche oder Heulkrämpfe bekommen und doch musste ich feststellen das Menschen, die mich zum Teil schon sehr lange kennen, nicht wussten wie sie mit mir nach seinem Tod umgehen sollen.
Manche konnten mich nicht anschauen, anscheinend aus Angst sie lösen damit einen Heulkrampf bei mir aus.
Manche sagten: mein Beileid, ich melde mich. Ich habe bis heute nichts von ihnen gehört.
Manche schauten mich an mit einem Blick der sagte: Wie kann sie drei Tage nach dem Tod von ihrem Mann aufrecht mit dem Hund durch den Wald gehen, freundlich grüßend und lächelnd?
Manche fragten: Wie geht es dir? Meine Antwort war immer: Gut, ICH bin ja noch da.
Viele boten ihre Hilfe an, ich würde gerne ihre Gesichter sehen wenn ich bei dem einen oder anderen klingeln würde und sie bitte meine Thuja Hecke zu schneiden.

Ich habe viele, viele gute und offene Gespräche geführt mit vielen lieben Menschen – Familie, Freunde, Nachbarn, Kunden, Fremden. Das hat mir sehr geholfen. Ich sage immer: Ich mache es den Leuten doch leicht mit mir zu reden. Manchmal (bei einem von zehn Gesprächen) kommen mir die Tränen aber auch bei meinem Gegenüber sehe ich so manches Tränchen im Auge blitzen.

Ich trauere auf meine eigene Art: Ich habe auf seinen Sarg und seine Urne einen Aufkleber mit Datum geklebt (war ein Spleen von ihm auf alles das Kaufdatum zu kleben). Ich bringe Tannenzapfen von seinem Lieblingsbaum und Sand von unserer Düne an sein Grab, auch wenn er für mich nicht dort ist, sondern zu Hause. Ich rede mit ihm und Klage ihm mein Leid.

Wir müssen uns bewusst werden, dass der Tod das einzige ist was uns Menschen – egal ob arm oder reich, schwarz oder weiß, dick oder dünn, männlich oder weiblich oder divers, religiös oder nicht – gleich macht. Keiner wird verschont und wir werden alle früher oder später jemanden verlieren den wir geliebt haben.

Ich bin die Woche nach der Beerdigung wieder arbeiten gegangen. Ich hab mich mit „hello fresh“ zum Kochen gezwungen. Ich habe viele lange Telefonate und Gespräche geführt. Ich bin alleine in Urlaub gefahren. Manchmal dachte ich, dass ich mich damit selbst überfordere, aber ich wollte auch nicht den Kopf einziehen und mich verstecken bis alles vorbei ist. Trauer wird nie vorbei sein, das habe ich gemerkt als ich jetzt diesen Text verfasst habe. Ich musste zwischendurch immer wieder mal weinen.
Ich bin überzeugt, dass Ralf noch in irgendeiner Form da ist und auf mich aufpasst, auch dieser Gedanke gibt mir Kraft mein Leben weiter zu leben. Ich höre viel auf mein Bauchgefühl und nicht auf das Gerede anderer, wie ich mich zu verhalten habe. Bis jetzt bin ich damit gut gefahren.
Ralf hat ein paar Tage vor seinem Tod gesagt: „Ich will nicht langsam an dieser Krankheit sterben und zum Pflegefall werden mit Null Lebensqualität, außerdem will ich dir das nicht antun, dafür bist du noch zu jung, du kannst nochmal jemanden kennen lernen. Dein Leben geht weiter. Als erstes kaufst du dir mal eine neue Couch, diese hier ist viel zu tief.“
Ich habe mir eine neue Couch gekauft, gemeinsam mit meinem neuen Freund.

Mir geht es gut, ich bin ja noch da und habe auch nur ein Leben, das gelebt werden will.

Petra Bladt

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